Rettet Homeoffice die Welt? Schluss mit Berufsverkehr!
Corona stellt alles auf den Kopf: Stubenhocker haben plötzlich Vorbildfunktion und der Umweltschutz ist vergessen – ein Paradigmenwechsel des Zeitgeists. Neulich nickten wir zumindest noch, wenn es hieß: „Greta hat gesagt…“, als wenn der skandinavische Teenager unsere einzige Hoffnung auf einen Aufschub beim Weltuntergang gewesen wäre. Nun ist die Klimakrise aus den Nachrichten verdrängt und wir winken mit Atemschutzmasken aus dem Homeoffice. Doch das kann viel mehr, als uns nur Sicherheitsabstand garantieren: Es rettet uns. Und die Welt gleich mit.
Corona, die Erlösung?
Man könnte fast dankbar sein, dass es kam. Damit sind natürlich nicht die vielen Toten, wirtschaftliches Desaster oder die Isolation vom sozialen Leben gemeint. Doch wir bekommen in philosophischer Hinsicht demonstriert, dass wir anders leben können und müssen. Es gilt, diesen Weg konsequent weiterzugehen: Vergesst endgültig den feinstaubigen, allmorgendlichen Berufsverkehr als Vorhof zur Hölle der hierarchischen Arbeitswelt! Das alte Business-Universum ist hirntot und wird nur noch künstlich beatmet.
Business Ground Zero
Niemand bleibt nach einem Erdbeben im Haus mit Rissen – man baut etwas Neues. Corona hat ein Erdbeben erzeugt und es ist eine Chance, die Arbeitswelt nachhaltig neu aufzubauen. Erster Schritt: Beerdigt die Rushhour! Sie ist umweltschädlich, zeitraubend und wirtschaftlich ineffizient. Die Technik ist bereit, Homeoffice gleichermaßen zur Säule des täglichen Lebens wie des Unternehmenserfolgs zu machen. Nur wir waren es bisher nicht. Homeoffice als Option steht in vielen Arbeitsverträgen. Doch bisher galt: Wer zuhause arbeiten will, ist ein fauler Hund. Die Krise zeigt aber: Unternehmen mit zeitgemäßer IT-Infrastruktur, die reibungsloses Homeoffice ermöglicht, berichten von steigender Effizienz. Teams werden messbar produktiver – ohne, dass der Chef über die Schulter schaut. Offensichtlich sind starke Hierarchien und ständige Anwesenheitspflicht mittlerweile überflüssig.
My office is my castle
Das Homeoffice ist plötzlich die letzte Stütze der Büro-Gesellschaft – nur ohne Durchhalte-Applaus vom Balkon gegenüber. Man könnte schmunzeln, wenn nicht offenbart würde, wie wenig wir vorbereitet waren. Nun hämmern wir in Wohnzimmern auf Tastaturen ein und wundern uns, warum wir das nicht schon länger machen. Denn vieles geht besser als vorher: Teams lernen ohne steile Hierarchien auszukommen und Selbstbestimmung lässt manchen über sich hinauswachsen. Flexibles Arbeiten im Einklang mit der Familie – nur ohne Verschwendung von Lebenszeit im Berufsverkehr samt der Umweltbelastung. Der entfallende Stressfaktor zahlt sich für Unternehmen aus: Mitarbeiter sind fokussierter und weniger krank. Gerade Pendler werden laut Medizin, Psychologie und Krankenkassen oft von vermeidbaren Burnouts, Schlafstörungen sowie Rücken- und Kopfschmerzen geplagt. Auch schön: Der Diesel bleibt vor der Tür, das Monatsticket im Automaten und vielen das Mittagessen aus Aluschalen erspart.
Papa, was war denn eine „Rushhour“?
2016 nutzten laut Statistischem Bundesamt fast 68 Prozent der Arbeitnehmer das Auto, um zur Arbeit zu kommen. Ein Gutachten des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) besagt: Ein Tag Homeoffice pro Woche für 10 Prozent der deutschen Erwerbstätigen spart 4,5 Milliarden Kilometer für Pendler und 850 Millionen Kilogramm CO2 pro Jahr. Man möge sich das Ergebnis multipliziert mit 70 Prozent Erwerbstätigen und 3-4 Tagen Homeoffice pro Woche vorstellen. Hinzu kommen enorme Einsparungen bei Anschaffung, Sprit und Abnutzung sowie natürlich eine deutliche Reduzierung der Feinstaubbildung durch Reifenabrieb. Wenn flächendeckender Einsatz von Homeoffice unsere Emissionen und Zeitverschwendung effektiv senkt, haben Unternehmen und Mitarbeiter die soziale Verpflichtung, dies auch zu realisieren.
Schatz, ich kündige die Rentenversicherung!
Die Folgen weltweiter Luftverschmutzung, basierend auf dem Einsatz fossiler Brennstoffe, senken die weltweite Pro-Kopf-Lebenserwartung im Schnitt um 2,9 Jahre. Das Risiko, daran zu sterben, ist höher als an Infektionskrankheiten oder anderen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren. Dies belegt eine Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie und der Universitätsmedizin Mainz. Rauchen kostet durchschnittlich 2,2 Jahre, eine HIV-Infektion 0,7 Jahre. Da darf man hinterfragen, ob Einzahlen für die Rente noch lohnt.
Feinstaub und Ozon verursachten 2015 weltweit 8,8 Millionen Todesfälle. Man muss sich als Unternehmen entscheiden, ob man diese Entwicklung begünstigen oder verhindern will. Europa schaut schulterzuckend in weite Teile der Welt und sieht es nicht als sein Problem. Doch territoriales Denken ist keine Basis in einer globalisierten Welt, sondern anachronistische Ignoranz. Luftverschmutzung kennt genau so wenig Grenzen wie ein Virus.
Corona = Umweltschutz?
Wenn wir im „Lifestyle Homeoffice“ nun sogar unsere Kinder unter dem Schreibtisch wiederentdecken – die uns bei täglichen 10 Stunden Büro plus 1-2 Stunden Anreise fast entfallen wären – was könnte noch alles besser werden? Die Reaktion von Unternehmen auf all das kann nur sein, Arbeitsplätze zu digitalisieren, um das Potenzial der wichtigsten Ressource optimal zu nutzen: Den Mitarbeiter. Homeoffice könnte dabei zum bedingungslosen technischen Grundeinkommen des Angestellten werden. Flexibel von überall arbeiten, wo es Leben und Job erfordern. Es ist ohnehin längst klar: Nur so bleiben Unternehmen konkurrenzfähig und für Fachkräfte attraktiv.
Die NASA analysierte im April, dass der deutsche Himmel deutlich weniger durch Stickstoffdioxid (NOx) belastet ist, als die letzten 4 Jahre. Eine Umfrage des TV-Magazins Kontraste im Mai unter den Umweltbehörden der Bundesländer ergab: Die Messwerte sanken in Berlin durchschnittlich um 28 Prozent, in Hamburg bis zu 48 Prozent, in Bayern um 26 Prozent und in Hessen um 30 Prozent. Viele Regionen blicken derzeit in klare Luft – allen voran Großstädte in Frankreich, Spanien, Norditalien und Westdeutschland. Satellitendaten der Esa belegen dies. Auch ergab eine Erhebung auf den Straßen Nordrhein-Westfalens: Am Wochenende fahren bis zu 70 Prozent weniger Autos, in Ballungsräumen unter der Woche bis zu 40 Prozent weniger. In New York, so die BBC, seien bis zu 50 Prozent weniger Kohlenmonoxide gemessen worden. Nicht alles kann dem Homeoffice zugeschrieben werden, da viele Unternehmen vorrübergehend schließen mussten, aber sie geben einen Eindruck, was möglich ist. Wir müssen nur wollen.
Wo bleibt die Ode über Stau, Parkplatzsuche und Nachtschicht?
Viele Branchen sollten umweltbewusst sparen: Man braucht keinen großen Standort in teuren Innenstädten, wenn man agiler, günstiger und nachhaltiger im Umfeld von Städten agieren kann. Wozu noch große Gebäude, wenn Mitarbeiter überwiegend im Homeoffice sind und nur für Meetings vorbeischauen? Wir müssen uns vom Prestige verabschieden, wenn wir der nächsten Generation Arbeitsplätze, Wohlstand und Natur erhalten wollen. Dies ist eine notwendige Kehrtwende in Zeiten, in denen Nähe zum Arbeitsort exotisch ist: Immer mehr Menschen pendeln über eine Stunde oder mutieren zum Wochenendpendler.
Unternehmen haben Hausaufgaben zu erledigen, Mitarbeiter technisch und in Hinsicht auf New Work mental auszustatten, dass es keine Rolle mehr spielt, von wo performt wird. Wenn man Kollegen treffen will, Workshops warten oder ein Kunde begrüßt werden muss, ist der Gang ins Büro weiterhin wichtig. Doch dafür reichen sicherlich 1-2 Tage pro Woche. Klar, manche Branchen werden erstmal wenig vom digitalen Workplace profitieren. Aber alle anderen können ab sofort die Welt retten: Das Kanalwasser in Venedig ist wieder blau, Delphine schwimmen vor Spaniens Küste und in Paris laufen Hirsche durch die Straßen. Fast unheimlich dieses Homeoffice.